Mit ihrem Seilroboter gewann die Universität Duisburg-Essen den Igus Vector Award 2014 für die innovativste Energieketten-Anwendung. Der Roboter nutzt das Energieführungssystem „E-spool“, welches das Energieketten-Prinzip um eine zusätzliche Dimension erweitert. Die Universität möchte mit ihrem Seilrobotik-Konzept neue Aufgaben der Automatisierung erschließen und Anwendungen realisieren, die sich zuvor nicht automatisieren ließen.
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Ein Seil ist für einen gestandenen Ingenieur nicht unbedingt das Konstruktionsmittel erster Wahl. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich, dass es durchaus respektable und häufige Anwendungen für Seile gibt. Beispiele sind das sicherste Transportmittel der Welt, der Aufzug oder die Personenbeförderung in der Vertikalen, die Seilbahn sowie die klassische Hebe- und Fördertechnik: Die meisten mobilen und stationären Krane arbeiten ebenfalls mit Seilen.
Diese Argumente führen Dr. Tobias Bruckmann und sein Team häufig an, wenn sie ihre Erfindung vorstellen, die in der Tat ungewöhnlich und erklärungsbedürftig ist. Denn die Mitarbeiter des Lehrstuhls für Mechatronik an der Universität Duisburg-Essen haben einen neuartigen Roboter entwickelt, der ohne Portal und ohne Knickarm arbeitet. Für das Verfahren des Lastaufnahmemittels im dreidimensionalen Raum sorgen acht bis zwölf Seile, die von Winden bewegt werden. Dass ein Großteil der Intelligenz und der Innovation in der steuerungstechnischen Synchronisation der Seilantriebe liegt, versteht sich von selbst.
Welche Vorteile bietet ein solches Seilsystem? Zunächst ist der Seilroboter sehr viel leichter als alle anderen Robotertypen. Denn der Antrieb muss lediglich das Eigengewicht von Transportplattform und Greifer sowie die Last selber bewegen. Deshalb arbeitet das Handhabungssystem sehr energieeffizient und dynamisch. Und während ein Knickarmroboter in seiner Reichweite auf vielleicht 3 m begrenzt ist, kann ein Seilroboter schwere Lasten auch über Strecken von 40 oder 50 m transportieren. Außerdem lässt er sich aus wenigen und einfachsten Bauelementen konstruieren.
Die Universität hat ein Testsystem aufgebaut, das man im Internet auch in Aktion sehen kann. Der Roboter wird hier als Regalbediengerät an einem Hochregal eingesetzt. Das ist eine typische Anwendung aber keine sonderlich komplexe, weil sich die Plattform nur in zwei Dimensionen bewegt. Dr. Tobias Bruckmann: „Wir können mit dem Roboter auch dreidimensional im Raum positionieren. Alles, was wir dazu brauchen, sind sieben oder acht Seile und entsprechende Aufhängungs- oder Umlenkpunkte.“
Diese Idee hat auch die Jury des Igus Vector Award 2014 überzeugt und den Entwicklern des Seilroboters diese Auszeichnung als innovativste Energieketten-Anwendung verliehen. Denn zu den zahlreichen Detailaufgaben, die das Entwicklungsteam der Hochschule zu lösen hatte, gehörte die Energie- und Signalzuführung zum Ladungsträger. Es passte gut, dass die Kölner Kunststoffspezialisten zu jener Zeit gerade mit einer Innovation aufwarten konnte, die für derartige Anwendungen entwickelt wurde: die E-spool.
Dieses System verbindet zwei Prinzipien der beweglichen Energiezuführung in einer Baueinheit: eine Standard-Energiekette, die mit einer Rolle auf- und abgerollt wird, und ein sogenanntes Twisterband, das die Leitungen in der Horizontalen führt. Diese Kombination führt dazu, dass Bewegungen gleich in zwei Dimensionen möglich sind, ähnlich einer Kabeltrommel. Dabei können mit der E-spool jedoch nicht nur elektrische Energie und Signale platzsparend und flexibel transportiert werden sondern auch Druckluft und Flüssigkeiten, da sie ohne Schleifring auskommt.
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So können die unterschiedlichsten Leitungen auf engstem Raum in einem System verbunden und auch jederzeit ausgetauscht oder hinzugefügt werden. Die Kette wird selbsttätig abgewickelt; eine integrierte Rückholfeder sorgt stets dafür, dass die Energiezuführung die richtige Länge hat und auf Spannung gehalten wird. Das Twisterband. verbindet die Rolle mit dem Wellenbock, der als Schnittstelle zu den fest verlegten Leitungen liegt.
Die E-spool wurde ins Standardprogramm von Igus aufgenommen und ist in verschiedenen Auszugslängen mit jeweils einem oder zwei Twisterbändern lieferbar. Die maximale Auszugs- und Einzugsgeschwindigkeit liegt bei 1 m/s.
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Das System bewährt sich in der Testinstallation der Universität Duisburg-Essen bestens. Tobias Bruckmann: „Die E-spool wird an einem Fixpunkt über dem Regal aufgehängt. Die Kette folgt jeweils dem Lastaufnahmemittel. Die Kräfte, die die Kette einbringt, haben wir eingerechnet. Zusätzlich profitieren wir davon, dass die Rückholfeder die Dynamik des Systems noch unterstützt.“
Wenn die Seilroboter sich nicht in zwei sondern in drei Dimensionen bewegen sollen, können die Mechatroniker der Universität Duisburg-Essen eine Weiterentwicklung der E-spool einsetzen, die sich gerade im Prototypenstadium befindet: Die „Tri-spool“ kombiniert das Twisterband mit der dreidimensional beweglichen „Triflex“-Energiekette und erlaubt noch einen Freiheitsgrad mehr als die E-spool. In beiden Systemen kommen die robotergerechten „Chainflex“ Leitungen „CF Robot“ zum Einsatz, die dezidiert für bewegliche Anwendungen mit hoher Dynamik und vielen Biegezyklen entwickelt wurden.
Die Universität Duisburg-Essen beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit der Seilrobotik und hat bereits erste Applikationen realisiert. Beispielsweise erlaubt in einem Windkanal der Seilroboter die bewegliche Aufhängung von Testkörpern wie Flugzeugbauteilen. Zudem können verschiedene Winkel erzeugt werden, ohne dass die Strömung beeinflusst wird.
Jetzt wollen die Mechatroniker des Lehrstuhls die Vermarktung des Konzeptes vorantreiben und haben eine klare Strategie entwickelt. Dr. Tobias Bruckmann: „Wir sehen unser System nicht als Konkurrenz für die klassische Robotik. Vielmehr wollen wir neue Aufgaben der Automatisierung erschließen und Anwendungen realisieren, die sich zuvor nicht automatisieren ließen – zum Beispiel in Logistik, Gebäudereinigung und industrieller Produktion.“
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Deshalb hat die Universität ein Konsortium mit Unternehmen der Logistik gebildet, das den Einsatz der Seilrobotik in diesem Bereich vorantreiben wird. Generell sind die Wissenschaftler sehr optimistisch, dass sich das neue Roboterkonzept in der Industrie etablieren wird: „Die Aufmerksamkeit ist da – wir haben viele Anfragen für Seilroboter und werden in naher Zukunft sicherlich weitere Anwendungen in die Praxis umsetzen.“
Christian Strauch ist Branchenmanager Material Handling bei der Igus GmbH in Köln.