Mehr Ergonomie, schnellere Prozesse und weniger Kosten – das ist das Ergebnis einer Prozessoptimierung, die Turck am Standort Halver für die manuelle Bestückung von Elektronikplatinen realisiert hat. Statt wie bisher an Royonic-Tischen bestücken die Mitarbeiterinnen die Leiterplatten jetzt an zwei Pick-to-Light-Arbeitsplätzen. Geplant und umgesetzt wurde die neue Lösung mit Sensorik von der Turck-Tochter Mechatec in enger Zusammenarbeit mit Fertigungsplanern von Halver.
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Bei der Bestückung von Leiterplatten setzen Hersteller in den meisten Anwendungen auf die SMD-Technik (Surface-mounting Technology), da dieses Verfahren vollautomatisch funktioniert. Sobald bedrahtete elektronische Bauelemente verbaut werden sollen, sind Alternativen wie das THT-Verfahren (Through Hole Technology) gefragt. Dabei werden die Komponenten durch Kontaktlöcher in der Leiterplatte gesteckt, was auch heute noch manuelle Bestückungsarbeiten erfordert. Mitarbeiter platzieren dazu die einzelnen Elektronikbauteile auf den Leiterplatten, die im Anschluss von einer Lötwelle gelötet und dadurch fest mit der Leiterbahn der Leiterplatte verbunden wird.
Je nach Größe einer Leiterplatte und der Anzahl der zu bestückenden Bauteile kann dieser Bestückvorgang sehr komplex werden. Zur Prozess- und Qualitätssicherung werden in der THT-Bestückung von Leiterplatten daher häufig so genannte Royonic-Tische eingesetzt. Das erfolgte auch in der THT-Bestückung bei der Werner Turck GmbH in Halver. Der Royonic-Tisch zeigt der Mitarbeiterin per Lichtzeiger die Stelle auf der Leiterplatte an, auf die das jeweilige Bauteil bestückt werden muss. In der Regel liegen 8 bis 15 gleichartige Leiterplatten in einem Transport-Rahmen. Nach jedem Einsetzen eines Bauteils drückt der Mitarbeiter einen Bestätigungsknopf am Tisch.
Im Rahmen des gelebten KVP-Prozesses bei Turck werden auch Produktionsprozesse immer wieder einer Überprüfung unterzogen. So kam die Arbeitsvorbereitung im Fall der THT-Bestückung mit Royonic-Tischen zu dem Ergebnis, dass diese Art der Bestückung eine Kosten- und Prozessoptimierung benötigt.
Die Prozessfachleute in Halver errechneten, dass Mitarbeiter in Summe allein 240 Stunden im Jahr damit verbringen, den Bestätigungsknopf zu drücken. Nicht effizient war auch, dass die Rahmen mit den Leiterplatten von den Mitarbeiterinnen manuell auf ein Transportband zur Lötwelle gehoben werden mussten. Insgesamt viel Potenzial, um die Effizienz der THT-Bestückung zu steigern.
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Für Alexander Kohlhaas, Experte für Fertigungstechnik in Halver, stand fest, dass die Royonic-Tische für Leiterplatten mit bis zu 15 Bauteilen nicht optimal sind. Erste Ideen ließen die Wahl auf eine Pick-to-Light-Lösung mit Systemkomponenten aus dem eigenen Hause fallen. Außerdem sollte der Rahmentransport automatisiert laufen. Die Mitarbeiterinnen werden so vom Tragen der Rahmen entlastet und die Fertigung optimiert. Der Prozess läuft flüssiger, auch die Logistikprozesse wie etwa das Befüllen von Bauteilen sollten nicht mehr den Bestückungsvorgang unterbrechen, sondern von den Mitarbeitern der Logistik erlegt werden.
Kohlhaas entwickelte in Zusammenarbeit mit Natalie Krumme, damals Auszubildende zur Mechatronikerin, die Idee für einen THT-Arbeitsplatz auf Basis eines Pick-to-Light-Systems. Nachdem die Fertigungsplaner die Anforderungen an Funktionalität und Ergonomie der Applikation definiert hatten, kam ein Tochterunternehmen ins Boot:
Turck Mechatec bietet komplette elektrotechnische Systemlösungen nach Kundenvorgabe von der Planung bis zur schlüsselfertigen Übergabe. Die Mechatec-Spezialisten haben aus dem Anforderungsprofil eine Systemlösung erarbeitet und diese sowohl ergonomisch als auch kostenoptimiert umgesetzt.
Mit seinen Pick-to-Light-Lösungen hat Turck bereits bei zahlreichen Kunden manuelle Montage- und Kommissionierplätze ausgestattet. Mechatec konnte daher bei seiner Systemplanung auf den umfangreichen Erfahrungsschatz des Automatisierungsspezialisten zurückgreifen und die optimalen Einzelkomponenten mit einer speziell für die THT-Applikation in Halver entwickelten Software kombinieren.
Die Software steuert nicht nur den Prozess, sondern kann auch die Produktivität der THT-Bestückung erfassen und über einen separaten Monitor visualisieren. Durch die Datenerfassung lassen sich bei einer späteren Analyse gegebenenfalls weitere Ansatzpunkte für Optimierungen identifizieren.
Hardwareseitig kommen an den neuen Bestückungsplätzen unter anderem zwei HMI / PLC-Systeme zum Einsatz, eine BL67-I/O-Station sowie diverse Sensoren und Leuchttaster samt Anschlussleitungen. Die Mitarbeiterinnen stehen heute vor zwei ergonomisch gestalteten Pick-to-Light-Regalsystemen, die mit bis zu 48 Fächern für zu verbauende Komponenten versehen werden können.
Ein Bestückungsprozess beginnt mit dem Einlegen der leeren Platinen in den Rahmenträger. An den großen HMI/PLC-Bildschirmen werden die einzelnen Arbeitsschritte visuell dargestellt und die jeweils nächste zu bestückende Komponente mit der Lage und der Bestückungsposition auf der Platine angezeigt. Die Darstellung auf dem Monitor dient gleichzeitig als Arbeitsanweisung. Somit entfallen Anlernzeiten, die Einsatzmöglichkeiten der Fertigungsmitarbeiter werden flexibler. Parallel zur Darstellung auf dem Monitor signalisiert eine aktivierte Leuchte den Regalplatz, aus dem die Mitarbeiterin die aktuell zu verbauende Komponente entnehmen muss.
Nachdem die Mitarbeiterin das Bauteil auf der Platine bestückt hat, betätigt sie diesen Arbeitsvorgang durch Berühren des kapazitiven Pick-to-Light-Sensors und die Visualisierung auf dem Monitor zeigt die nächste Bestückungsposition an. An den Regalplätzen leuchtet der Pick-to-Light-Sensor mit der als nächstes zu entnehmenden Komponente.
Sind die Platinen komplett, schiebt die Mitarbeiterin den Rahmen auf das Transportband. Die Rahmen mit den bestückten Platinen werden über die Transportbänder automatisch zur Lötwelle und danach zurück zu den Arbeitsplätzen gefahren. Dort entnehmen die Mitarbeiter die fertig bestückten und gelöteten Platinen und befüllen den Rahmen wieder mit Leerplatinen für den nächsten Durchgang.
Die Regale sind so aufgebaut, dass sie von hinten ohne Unterbrechung des Bestückungsvorgangs mit neuen Bauteilen aufgefüllt werden können. Die produzierende Mitarbeiterin ist damit von Logistikaufgaben entbunden und kann sich auf ihre eigentliche Bestückungsaufgabe konzentrieren. Auch ergonomisch sind die beiden Regale ein Fortschritt. Statt selbst den rund 8 kg schweren Bauteilrahmen zur Montage vom Band zu heben, führt nun ein Förderband die Rahmen mit den Leiterplatten zu den Mitarbeiterinnen. Sie müssen den Rahmen lediglich kurz anschieben, bis er vom Förderband erfasst und zur Lötwelle transportiert wird.
Alle notwendigen Vorarbeiten für die Bestückung neuer Produkte kann die Arbeitsvorbereitung jetzt extern durchführen. Mit Hilfe einer CSV-Datei wird der Gesamtprozess beschrieben und der Ablauf festgelegt, zusätzlich können die Fertigungsplaner festlegen, ob der Arbeitsplatz mit einem Mitarbeiter oder mit zwei Mitarbeitern genutzt wird, um die Durchlaufzeit der Produkte zu verkürzen.
Sobald das neue Produkt gestartet wird, muss nur noch die CSV-Datei samt Bildern in den IPC und die BL67-Station geladen werden. Ohne großen Aufwand kann die Lösung in Zukunft auch an das neue Warenwirtschaftssystem angebunden werden.
Erste Erfahrungen zeigen, dass der mit Pick-to-Light optimierte Bestückprozess bei voller Auslastung eine wesentliche Produktionssteigerung an den Arbeitsplätzen erbringt. Die Lötwelle ist heute durchgehend und gleichmäßig ausgelastet. Unterbrechungen des Prozesses, wie sie früher beim Nachfüllen von Bauteilen auftraten, wurden weitestgehend ausgeschaltet.
Damit konnte auch die Fehlerquote gesenkt werden, da Unterbrechungen im Bestückungsprozess auch immer Fehlerquellen sind. Unter dem Strich wird sich die Investition in die optimierte Anlage schnell amortisieren.
Rudolf Wolany ist Leiter Vertrieb + Projekte bei Turck Mechatec in Mülheim an der Ruhr