Wann kommen selbstfahrende Autos denn nun wirklich flächendeckend? Ist der Paradigmenwechsel Autonomes Fahren im Jahr 2020 in unmittelbarer Reichweite oder neben der Elektromobilität „nur“ ein weiteres Top-Thema der Automobilindustrie? Auch Minebea Mitsumi entwickelt Produkte für autonom fahrende Fahrzeuge. Der Automobilzulieferer zeigt auf, welches Level wir erreicht haben und durch welche Zwischenstationen die Reise in die Mobilität der Zukunft führt.
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Während der Wettbewerb der Automobilisten und seiner Entwicklungspartner in vollem Gange ist, arbeitet die IT-Industrie mit Hochdruck an der digitalen Infrastruktur. Die Entwicklungen und Patentanmeldungen nehmen rasant zu und doch ist der Übergang zur Mobilität der Zukunft langwierig, denn die rechtliche Grundlage fehlt.
Wir bei Minebea Mitsumi sehen große Chancen und viele Herausforderungen wie ethische Knackpunkte und global unterschiedliche Grundvoraussetzungen. Laut einer Studie des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens KPMG sind die Voraussetzungen für selbstfahrende Autos in den USA, Niederlanden und Singapur am besten, verglichen in Politik, Gesetzgebung, Technologie, Innovation, Infrastruktur und Kundenakzeptanz.
Die Hälfte der relevanten Patente kommt aber aus Deutschland. Umso verwunderlicher ist es, dass die deutschen Automobilisten in der Entwicklung und Erprobung der neuen Technologien – zumindest im eigenen Land – eher hinten liegen. Ein Grund dafür ist die liberalere Gesetzgebung in den USA oder China. Der Audi A8 könnte nämlich bereits seit dem Jahr 2017 hochautomatisiert fahren, wäre die dafür notwendige Software rechtlich freigeschaltet.
Neben der fehlenden Gesetzgebung basiert der Rückstand in Deutschland und Europa aber sicherlich auch auf den hier vorherrschenden Sicherheitsvorgaben, Stichwort „Safety First Approach“. Die Unfallstatistik gibt diesen Vorsichtsmaßnahmen aber durchaus recht.
Meist wird in der Timeline zur Umsetzung des autonomen Fahrens von fünf Stufen gesprochen. Sie beginnen beim assistierten Fahren und reichen bis zum selbstfahrenden Auto. In Europa befinden wir uns derzeit überwiegend auf der dritten Stufe. In China hingegen ist kürzlich Weride in Guangzhou mit fahrerlosen Testfahrten an den Start gegangen.
In den USA schickt Waymo im Rahmen seines Early Rider Programs bereits fahrerlose Taxis in dünn besiedelten Vororten von Phoenix, Arizona auf die Straße. Und bei Elon Musk soll der Tesla noch in 2020 die grundsätzliche Funktionalität für Stufe 5 erreichen. Das Video vom April 2020 zeigt, weit Tesla hier schon ist:
In Stufe 1 spricht man vom assistierten Fahren. Hierzu zählen beispielsweise bereits der Tempomat oder der automatische Spurhalteassistent.
Stufe 2 bedeutet teilautomatisierten Fahren. Der Fahrer muss durchweg den Verkehr im Blick haben und immer die Kontrolle über sein Fahrzeug behalten. Das Fahrzeug hält jedoch stellenweise wie auf der Autobahn eigenständig die Spur, beschleunigt oder bremst selbsttätig. Einparkhilfe und Überholassistent, bei denen der Fahrer die Hände vom Lenkrad nehmen kann, zählt ebenfalls zu Stufe 2.
Mit dem hochautomatisierten Fahren befinden wir uns vielerorts aktuell vor der Stufe 3. Das Fahrzeug fährt in bestimmten Szenarien selbstständig, ohne dass der Fahrer die Hände am Lenkrad oder die Augen auf dem Verkehr gerichtet haben muss. Auf ein Signal des Systems hin allerdings, muss der Fahrer kurzfristig wieder vollständig die Kontrolle des selbstfahrenden Autos übernehmen können. Er könnte aber für einen begrenzten Zeitraum beispielsweise auf der Autobahn bei regulären Bedingungen ein Buch lesen.
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Beim vollautomatisierten Fahren in Stufe 4 bewältigt das selbstfahrende Auto längere Strecken vollkommen selbstständig. Der Fahrer ist ein Passagier. Er könnte während der vollautomatisierten Fahrt zum Beispiel schlafen. Für Verkehrsverstöße haftet er nicht. Das autonome System muss so beschaffen sein, dass das Auto bei grenzüberschreitenden Situationen in einen sicheren Zustand übergehen kann, selbst wenn der Passagier nicht eingreifen kann oder möchte.
Beim vollständigen autonomen Fahren gibt es nur noch Passagiere. Das Fahrzeug bewältigt auf Stufe 5 alle Verkehrssituationen. Es fährt beispielsweise eigenständig durch den Kreisverkehr und über Kreuzungen. Käme es zu einem Unfall, würde der Hersteller des selbstfahrenden Autos haften. Dafür, dass dann Passagiere für Unfälle nicht haftbar gemacht werden würden, gibt es noch keine rechtlichen und versicherungstechnischen Grundlagen.
Blicken wir auf die Chancen, die uns selbstfahrende Autos bieten: Neben Komfort für Passagiere gibt es zahlreiche weitere Vorteile: Autonome Systeme werden im Vergleich zum Menschen nicht unkonzentriert, müde, aggressiv und lassen sich nicht ablenken. Ihre Reaktionszeiten sind um ein Vielfaches kürzer. Das resultiert in einer viel größeren Sicherheit im Straßenverkehr.
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Die Zahl der Verkehrstoten ließe sich teils um bis zu 25 % senken. Die Insassen können die Fahrtzeit anderweitig nutzen. Menschen, die aufgrund von z. B. Gesundheit oder Alter nicht mehr in der Lage sind, ein Fahrzeug zu führen, wären wieder mobil. Und klimatechnisch ließen sich durch eine optimierte Verkehrsführung und Personenbeförderung der Warentransport automatisieren und CO2 Emissionen senken.
Das selbstfahrene Auto wird mit zahlreichen mobilen Endgeräten in seiner Umgebung vernetzt sein. So wird das Smartphone einen Radfahrer durch dessen Smartphone bereits aus großer Entfernung registrieren. Auch kann es nachfolgende autonome Autos vor einem Hindernis warnen.
Die leidige Suche nach Parkplätzen in der Großstadt wird das selbstfahrende Auto über Plattformen, die Parkleitsysteme integrieren, selbstständig vornehmen. Die Fahrzeuginsassen müssen dabei noch nicht mal mehr anwesend sein. Es ließen sich noch viele weitere Aspekte zur Liste mit Vorteilen durch durch autonomes Fahren hinzufügen. Doch wir wollen es dabei belassen, bevor manch einer beginnt, von K.I.T.T. aus Knight Rider zu träumen.
Theoretisch lassen sich mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) bereits viele komplexe Situationen im Straßenverkehr meistern. Technisch sind die meisten der beschriebenen Szenarien auch schon längst realisierbar. Und dennoch gibt es noch große Hürden.
Es werden voraussichtlich noch Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte lang, autonome neben nicht autonomen Fahrzeugen im Straßenverkehr unterwegs sein. Menschliche Fahrer, Radfahrer und Fußgänger handeln nicht immer regelkonform und können intelligente Systeme so schnell an ihre Grenzen bringen. Andererseits könnte ein menschlicher Fahrer davon überrascht werden, dass sich ein selbstfahrendes Auto strikt an eine durchgezogene Linie hält. Vor einem Hindernis zum Beispiel wird es dann einen unvorhergesehenen Stopp einlegen.
Auch wirft autonomes Fahren die Ethik betreffende Fragen auf: Welche Algorithmen sind für Ausnahmesituationen zu formulieren, bei denen Menschen zu Schaden kommen? Viel zitiert ist vor diesem Hintergrund das sogenannte Trolley-Problem vom Abwägen und Utilitarismus. Hier sind Fragen zu beantworten wie:
Eine weitere Hürde des autonomen Fahrens ist die Haftungsfrage für Unfälle. Wer trägt die Schuld, wenn die Technik versagt? Die Stufe der Automatisierung spielt hier eine ausschlaggebende Rolle. Bis zur Stufe 3 ist zweifelsfrei der Fahrer verantwortlich. Bei den Stufen 4 und 5 ist das nicht so eindeutig. Ist der Insasse nur Passagier, muss der Hersteller haften.
Auf Stufe 3 und 4 ist die Wahrnehmungsbereitschaft zu klären. Das regelt, wie schnell der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug zurückerlangen können muss. Spätestens ab Stufe 4 ist über eine Blackbox nachzuweisen, wer zum Unfallzeitpunkt die Kontrolle hatte, der Fahrer oder das Auto.
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Zum Januar 2021 haben die Vereinten Nationen verbindliche internationale Regeln für automatisiertes Fahren auf Stufe 3 verabschiedet. Sie schaffen Klarheit für Straßen, auf denen keine Radfahrer oder Fußgänger zugelassen sind. Die Regeln geben insbesondere vor, wie die Übergabe des Steuers zwischen Fahrer und autonomen System ablaufen muss. Zudem werden Regelungen getroffen zu Cybersicherheit, Haftungsfrage und technischen Vorgaben.
Die Datensicherheit ist ebenfalls eine große Herausforderung des autonomen Fahrens. Ein vernetztes Auto erzeugt etwa 10 TB (Terrabyte) an Daten pro Tag. Um ein Datenchaos zu vermeiden, müssen alle vernetzten Einheiten auf einer übergeordneten Plattformebene funktionieren und miteinander kommunizieren. Hierbei spielen die Monetarisierung von Daten, die Cybersicherheit und die DSGVO eine Rolle.
Bei all den Vorteilen und der Verlockung während unserer Reisetätigkeit, die Zeit anderweitig zu nutzen als sich dem Stress auf Autobahnen auszusetzen, ist die Technik des autonomen Fahrens noch extrem teuer und die Einführung im Privatkundensektor deshalb noch undenkbar. Insbesondere Lidar-Technologien sind sehr kostspielig.
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Und dennoch schaffen es Konzerne hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Die Basis für den Vorsprung von Tesla ist darin zu sehen, das Elon Musk die Hightech-Kosten zunächst nur begrenzt an seine Kunden weitergibt. Sind später einmal alle externen Voraussetzungen erfüllt, wird die digitale Vollausstattung kostenpflichtig freigeschalten. So könnte das höherautomatisierte Fahren später nicht nur bei Tesla in einer Art Abo hinzugebucht werden.
Eine solche Vertriebsstrategie kennen wir auch von den BMW updates. Der Automobilist bietet Software-Pakete gegen Bezahlung, in denen zum Beispiel ein erweiterter Sprachassistent oder verbesserter Bremseingriff freigeschaltet werden kann. (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 19.06.20)
Neben den Automobilisten sind zahlreiche Automobilzulieferer mit der Mobilität der Zukunft beschäftigt. Die meisten Patente für den Bereich autonomes Fahren besitzt Bosch.
Auch Minebea Mitsumi entwickelt eine Vielzahl an Produkten für selbstfahrende Autos. Resonanzgeräte warnen Fahrer selbstfahrender Autos der Stufe 2 und 3, wenn in Gefahrensituationen eingegriffen werden muss.
Für Lidar Technologie kommt der FDB-Motor mit extrem hoher Laufruhe und Laufgenauigkeit zum Einsatz. In Sachen elektromagnetische Kompatibilität werden Coils zur Optimierung eingesetzt. Für die verschiedenen DC- und BLDC Motoren sowie die Aktuatoren von Minebea Mitsumi gibt es zahlreiche neue Anwendungen wie automatische Ladeklappen oder elektrische Parkbremsen. Auch Break-by-Wire-Anwendungen sind denkbar. Stepper Motoren führen das Head-up-Display. Batterien Sensoren wissen selbst, wann sich das autonome Auto wieder aufladen muss.
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Kamerakonnektoren und Rücklichter übernehmen z. B. das Fahrer Monitoring, die Sitzbelegungserkennung und die Digitalisierung der Spiegel. Antennen für die Car-to-Car-Communication sowie Resolver leisten ebenfalls ihren Beitrag zur Mobilität der Zukunft.
Paradox Engineering, ein Tochterunternehmen von Minebea Mitsumi, betrachtet das Trendthema aus der Smart-City-Perspektive. Bereits vorhandene Netzwerkknotenpunkte aus den Bereichen Smart Parking oder Smart Lighting könnten einen virtuellen Korridor für selbstfahrende Autos bilden und eine sichere Navigation und Verkehrsführung gestatten.
Referenzregelungen, die auf den Daten der Umgebung basieren, könnten die Sicherheit erheblich verbessern. Die Netzwerkknotenpunkte von Paradox sind Blockchain fähig und bieten beim Austausch von Infos und Daten eine maximale Sicherheit
Der Ansatz wurde ursprünglich für Drohnen entwickelt und patentiert. Damit sollen Flugwege für autonome Paketlieferungen oder Überwachungsdienste detektiert werden. Beim Blick über den Tellerrand lässt sich dieses Konzept auf jedes unbemannte, autonom fahrende Objekt übertragen – ein wertvoller Ansatz für das autonome Fahren. Die Technologie ist also einsatzbereit.
Annette Bammert arbeitet beim European Headquarter Public Relations Department EHPRD in Villingen Schwenningen.