Am 11. Februar ist der Europäischen Weltraumbehörde ESA ein historischer Schritt gelungen: Sie hat ihre erste wiederverwendbare Raumfähre ins All geschossen und sicher zur Erde zurückgeholt. Beim Höllenritt durch die Atmosphäre spielten spezielle Rollengewindetriebe von SKF eine im wahrsten Sinne des Wortes wegweisende Rolle.
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Eigentlich wollte die ESA ihr Intermediate Experimental Vehicle (IXV) schon im November vergangenen Jahres testen. Zu diesem Zeitpunkt hätte jedoch kaum jemand davon Notiz genommen, denn zeitgleich bereitete sich eine andere ESA-Mission darauf vor, das erste Raumfahrzeug überhaupt auf einem Kometen zu landen: „Rosetta“ und ihr Lander „Philae“ hätten dem IXV nach ihrer über zehnjährigen Anreise also definitiv die Show gestohlen.
Zwar ist der Touchdown auf einem 510 Millionen km entfernten Felsbrocken zweifelsohne spektakulär, doch ist das IXV für die ESA nicht minder bedeutend. Schließlich soll die unbemannte Drohne den Europäern den Weg zu einer wiederverwendbaren Raumfähre ebnen. Der erste Schritt ist nun gemacht: Dank spezieller Rollengewindetriebe von SKF ist die Fähre sicher im Pazifik gewassert.
Architekt des IXV ist Thales Alenia Space – Italy (TAS-I). Für dieses Projekt hat TAS-I rund 20 Subunternehmen unter Vertrag genommen, darunter auch Sabca (Société Anonyme Belge de Constructions Aéronautiques), einen belgischen Luft- und Raumfahrtspezialisten. „Bislang müssen wir in Europa noch viel technisches Know-how für Wiedereintrittssysteme hinzukaufen“, erläutert Sabca-Projektleiter Didier Verhoeven.
Vor diesem Hintergrund seien Projekte wie das IXV enorm wichtig, um den Europäern für die Zukunft mehr Unabhängigkeit in der Raumfahrt zu sichern. „Die in der Wiedereintrittsphase durchgeführten Versuche sowie die bei den kommenden Flügen gewonnenen Erkenntnisse werden uns dabei helfen, unsere Position als bedeutender Player in diesem strategisch wichtigen Bereich zu stärken“, ist Verhoeven überzeugt.
Für seinen Jungfernflug im All war das IXV von einer Vega-Trägerrakete auf eine suborbitale Reise katapultiert worden. 320 km oberhalb des Weltraumbahnhofs Kourou in Französisch-Guayana hat sich das mit Sensoren vollgestopfte Raumschiff von der Rakete gelöst und ist weiter gestiegen – bis auf eine Höhe von rund 450 km. Von diesem Scheitelpunkt aus stürzte der rund 2 t schwere Gleiter von der Größe eines Kleinwagens wieder zur Erde zurück. Dabei beschleunigte er auf ein Tempo von gut 27.000 km/h.
Das Problem dabei: Sobald ein Flugkörper mit dieser Geschwindigkeit auf die obersten Schichten der Atmosphäre trifft, bricht die Hölle los. So musste der Hitzeschild des IXV mehr als 20 min lang Temperaturen von über 1600 °C standhalten, um zu verhindern, dass sich der ESA-Hoffnungsträger in einen „Meteoritenregen“ auflöst.
Ebenso wichtig ist es beim Wiedereintritt, dass in diesem Inferno aus Hitze und Vibrationen die Steuerung des Raumfahrzeugs einwandfrei funktioniert: Lassen sich die erforderlichen Manöver nicht wie berechnet ausführen, drohen die gleichen Konsequenzen wie bei einem unzureichenden Hitzeschutz.
Aus diesem Grund haben Verhoeven & Co. in ihrer Fabrik in Haren unweit von Brüssel ein besonderes Augenmerk auf die Aktuatoren geworfen, die die Steuerung der Lenk-Klappen am Heck des IXV sicherstellen. Beim heißen Ritt durch die Atmosphäre müssen diese Klappen nicht nur schnell und hochpräzise sondern auch extrem robust und zuverlässig funktionieren. Beispielsweise ist es erforderlich, dass beide Klappen jeweils mit einer Kraft von rund 35 kN ihre definierten Positionen halten, damit die Drohne in jeder Phase des Wiedereintritts auf der gewünschten Bahn durch die Atmosphäre rasen kann.
Die von Sabca entwickelten Aktuatoren werden mit Hilfe von Computern gesteuert und per Elektromotor angetrieben. „Die von uns für das IXV gebauten Aktuatoren haben ihre Wurzeln quasi in einer Sonderkonstruktion“, so Projektleiter Verhoeven: „Im Prinzip entstammen sie der Schubvektorsteuerung, die wir bereits für den Antrieb der Zefiro-Düsen in der Vega-Trägerrakete entwickelt hatten. Diese Steuerung haben wir nun an die Erfordernisse des IXV angepasst.“
Hintergrund dieses Ansatzes war ursprünglich der begrenzte Etat: Aus Kostengründen galt es, möglichst viele vorhandene Komponenten wiederzuverwenden. Inzwischen setzen sich mechatronische Lösungen in der Raumfahrttechnik aber ohnehin immer mehr durch. „In der Zeit, als wir an der Ariane-5-Trägerrakete gearbeitet haben, waren noch hydraulische Stellantriebe das Mittel der Wahl“, erinnert sich Verhoeven. „Heute lässt sich in der Luft- und Raumfahrtindustrie jedoch ein deutlicher Trend hin zu elektromechanischen Aktuatoren beobachten. Ergo haben wir diese Lösung nicht nur für die Vega-Rakete sondern auch für das IXV gewählt.“
Kern dieser elektromechanischen Aktuatoren sind hochleistungsfähige Rollengewindetriebe. Dass Sabca und Verhoeven dabei auf ein Produkt aus dem Hause SKF vertrauen, ist das Ergebnis einer maßgeschneiderten Entwicklung: „Die Ingenieure von SKF haben den Rollengewindetrieb so ausgelegt, dass er exakt unseren Anforderungen entspricht.
Wir waren also ziemlich sicher, dass er den enormen Vibrationen standhält, schnell und akkurat arbeitet und dabei hilft, die Klappen optimal in Position zu bringen“, so Verhoeven. „Denn Robustheit, Kraft, Schnelligkeit und Präzision sind von entscheidender Bedeutung, um während der Wiedereintrittsphase durch symmetrische beziehungsweise asymmetrische Verstellung der Klappen für den richtigen Neigungs- beziehungsweise Rollwinkel des IXV zu sorgen.“
Das bedeutet auch: Obwohl es sich bei den SKF Rollengewindetrieben um vergleichsweise kleine Teile des gesamten Systems handelt, mussten sie im Herzen der Aktuatoren doch eine extrem verantwortungsvolle Aufgabe erfüllen.
Zum anspruchsvollen Job dieser Linearantriebe gehörte – so paradox es klingen mag – auch deren absolute Bewegungslosigkeit. Tatsächlich spielte das „Bremssystem“ der Aktuatoren bereits beim Start der Rakete eine bedeutende Rolle: Die Halterungsfedern des Systems mussten so beschaffen sein, dass sie den enormen Vibrationen insbesondere beim Zünden der Triebwerke standhalten. Weder beim Abheben von der Erde noch im All durfte es zu einer sogenannten Kaltverformung kommen, die womöglich das Lösen der Bremse verhindert und damit später - beim Wiedereintritt in die Atmosphäre - dazu geführt hätte, dass die Klappen ihre nun unverzichtbare Beweglichkeit einbüßen.
Entsprechend gewissenhaft haben Projektleiter Verhoeven und seine Kollegen das System getestet: „Wir haben die Bremse mit einem speziellen Fett geschmiert und sie dann in über 1000 Zyklen unter Vakuumbedingungen geprüft.
Es gab keinen einzigen Fall von Kaltverformung.“ Außerdem seien die Aktuatoren samt Bremsen von 2013 bis Anfang 2014 vielen weiteren Klima-, Vakuum-, Schock- und Schwingungstests unterzogen worden, ohne dass dabei ernstzunehmende Probleme auftauchten.
Am Flugtag hat Didier Verhoeven natürlich trotzdem mit erhöhtem Puls gen Himmel geblickt und sämtliche verfügbaren Infos aus dem Kontrollzentrum gespannt verfolgt. Rund 100 min lang hatten die ESA-Experten so viele Daten wie möglich gesammelt, bevor das IXV im pazifischen Ozean aufsetzte. „Wir sind stolz, an diesem Projekt beteiligt zu sein.
Es ist der erste Schritt auf einem sehr langen Weg, an dessen Ende hoffentlich eine europäische bemannte Weltraummission und deren sichere Rückkehr zur Erde steht“, so Verhoeven abschließend. Umso glücklicher sei er, dass das mit den Klappen – auch dank SKF – so wunderbar geklappt habe.
Quellenangabe: Dieser Beitrag stammt aus dem Hause SKF.