Profinet etabliert sich immer mehr zum Kommunikationsstandard für Industrial-Ethernet-Anwendungen. Dabei können Anwender aus den über die Jahre gesammelten Erfahrungen bei der Nutzung des Profibusses auch beim Profinet profitieren. Dazu gehört z. B. die Erkenntnis, dass eine äußerlich sichtbare Netzwerkfunktion nach dem Motto „Es geht doch…“ nicht als Maß für die Beurteilung der Netzwerkqualität herangezogen werden sollte. Der Beitrag von Indu-Sol zeigt, welche Qualtitätskriterien zu erfüllen sind und wie dies umgesetzt werden kann.
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Die Vorteile von Profinet liegen auf der Hand: Es lassen sich alle Netzwerkstrukturen wie Ring, Stern, Linie oder Netz realisieren bis hin zur sinkenden Störempfindlichkeit durch Punkt zu Punkt Verdrahtung realisieren. Zudem überzeugt Profinet als offener, herstellerneutraler, international genormter Busstandard und kann auf eine ständig steigende Nutzerakzeptanz verweisen. Schließlich ergänzt Profinet sehr gut die PC-basierte Automatisierungstechnik und ermöglicht eine einfache vertikale Integration von der Feldebene bis hin zur Unternehmensebene. Doch warnen Experten für die Netzwerkkommunikation davor, allzu arglos an das Thema heranzugehen. Karl-Heinz Richter, Geschäftsführer für Marketing & Vertrieb Indu-Sol GmbH, mahnt vielmehr, aus den Erfahrungen mit Profibus zu lernen.
Ethernet Switch | Der Datenlenker im Netzwerk
Während beim Profibus 90 % der aufgetretenen Probleme in der Buskommunikation auf physikalische Ursachen (erzeugt durch Lan Kabel, Leitungen, Stecker) zurückzuführen sind, richtet sich im Profinet durch die Möglichkeit der Übertragung von unterschiedlichen Protokollen innerhalb eines Netzwerkes der Blickwinkel verstärkt auf die Bewertung logischer Kommunikationszusammenhänge. Wer die tatsächliche Qualität seiner Kommunikation kennen und nicht nur nach Anlagenfunktion oder Anzahl der Ausfälle urteilen möchte, braucht konkrete Werte.
Vergleicht man Profinet mit Profibus scheint die Menge der zu übertragenden Daten und die Übertragungsgeschwindigkeit nahezu unbegrenzt. Im Gegensatz zum Profibus ist jedoch die Kommunikationslast nicht konstant, was die Vorhersagbarkeit von zuverlässiger Kommunikation erschwert. Es müssen vorab also die nötigen Lastreserven eingeplant werden und die Netzwerkstruktur ist gut zu durchdenken.
Ähnlich wie man im Straßenverkehr Schwertransporte möglichst nicht über Landstraßen oder zu Hauptverkehrszeiten losschickt, ist es im Profinet wichtig, die Kommunikationswege entsprechend der Last auszulegen. Beispielsweise sollte eine Überwachungskamera möglichst direkt mit dem Visualisierungssystem verbunden oder, um im Bild zu bleiben, nicht per Durchfahrt durch diverse Ortschaften geleitet werden. Ein weiteres Stichwort in der Planung lautet Linientiefe (Kaskadierung von I/O Geräten). Hierbei gilt es vorab zu klären, ob die Linientiefe zur jeweiligen Anwendung passt, wenn eine bestimmte Aktualisierungsrate einzuhalten ist. Linientiefe bedeutet auf das Bild des Straßenverkehrs übertragen, wie viele Ampeln bzw. Ampelübergänge (Switches) auf dem Weg zum Ziel passiert werden müssen.
In der Messpraxis der Netzwerkexperten von Indu-Sol haben sich für Profinet drei messbare Netzzustandsgrößen herauskristallisiert, welche sich durchaus als allgemeingültige Qualitätskriterien in der Profinetkommunikation durchsetzen könnten: der Telegramm-Jitter, die Anzahl ausgefallener Telegramme und das Lastspektrum wie beim Verhältnis von Profinet zu TCP/IP. Unter Beachtung dieser Qualitätskriterien sowie deren Grenzwerte und Verhältnisse zueinander lassen sich Netzwerke von vornherein zuverlässig planen bzw. optimal auslegen.
Zum Unterschied zwischen Theorie und Praxis erklärt Richter: „Zwei generelle Ursachen führen in der Regel dazu, dass Theorie und Praxis nicht übereinstimmen. Erstens hält man sich bei der Umsetzung oft nicht exakt an die Planung. Hier können Messungen dazu beitragen, Planungsdaten zu kontrollieren. Zweitens ist es bei komplexen Anlagen in der Planungsphase oft nicht möglich, alle Eventualitäten zu berücksichtigen und dem Ausführenden werden bewusst gewisse Freiheiten in der Netzwerkauslegung (Installation) eingeräumt. Hier kann die Messung in realen Betrieb dabei helfen, Einstellungen oder auch die Kommunikationswege zu optimieren.“ Will man Theorie und Praxis zusammenbringen, ist das nur mit zuverlässigen Messergebnissen möglich, z. B. mit einer Netzwerküberwachung unter Produktionsbedingungen über einen längeren Zeitraum von zum Beispiel 14 Arbeitstagen. Wer die Qualität der Kommunikation nicht an der „Zustands-LED“ der Steuerung oder an der Anzahl der Ausfälle beurteilen will, braucht vor allem eins, eindeutige und nachvollziehbare Qualitätskriterien.
In der Praxis der Netzwerkexperten haben sich für Profinet drei Netzzustandsgrößen herauskristallisiert, welche sich durchaus als allgemeingültige Qualitätskriterien in der Profinet-Kommunikation durchsetzen könnten: der Telegramm-Jitter, die Anzahl ausgefallener Telegramme und das Lastspektrum (z. B. das Verhältnis von Profinet zu TCP/IP) (Bild 2).
Der Jitter ist ein Maß für die Abweichung von der Aktualisierungsrate. Richter erklärt: „Wir können den „Jitter“ beispielsweise mit den Ankunftszeiten von Linienbussen vergleichen. Wenn wir im Stundentakt einen Bus erwarten und dieser mal zu früh und mal zu spät kommt, können wir hier von einer zeitlichen Abweichung vom eigentlich erwarteten Zeittakt sprechen. Beim Profinet stellen wir die 'Ankunftszeiten' über die Aktualisierungsintervalle ein. Sollte eine Zeit um mehr als 50 Prozent abweichen, so ist die Frage nach dem 'Warum' ein Muss. Von außen aber würde man diesen Fakt einer Problemfrühindikation nicht mitbekommen.“
Das Erkennen ausgefallener Telegramme als zweites Kriterium ist beim Profibus ähnlich dem Retry limit zu sehen. Wichtiger Unterschied ist aber, dass beim Profibus die Telegramme wiederholt und beim Profinet bis zu drei fehlende Telegrammpakete toleriert werden, ohne dass es äußerlich für den Betreiber sichtbar wird.
Das dritte Profinet-Kriterium, die allgemeine Bus-Last oder der Traffic, umfasst die Summe des gesamten zyklischen und azyklischen Datenverkehrs. Richter führt an: „Auch hier kann uns ein Vergleich aus dem Straßenverkehr zum Verständnis 'Bus-Last' oder 'Traffic' helfen. Beim Profibus fährt immer nur ein Auto des Typs „Pkw“ von A nach B oder umgekehrt. Beim Profinet haben wir neben dem Pkw-Verkehr auch die Möglichkeit Lkw oder Motorräder auf der gleichen Straße fahren zu lassen. Im Sinne der Bewertung ist es jetzt wichtig zu wissen, in welchem prozentualen Verhältnis die jeweiligen Teilnehmer zueinander in die Verkehrslast eingehen. Ein Richtwert für das Lastspektrum ist ein Verhältnis von 100:1, sprich auf 100 Profinet-Telegramme sollte beispielsweise maximal ein Ethernet-Telegramm übertragen werden.“
Weiterhin gilt es in einer durchdachten Netzwerkplanung vorab zu überlegen, welche Lasten wann auftreten können und wie sie sich zu einer guten Gesamtauslastung des Netzes sinnvoll verteilen lassen. Richter nennt auch hier einen Erfahrungswert: „Mit einer maximalen Bus-Last von 20 Prozent kann eine Netzwerkkommunikation ohne überraschende Kommunikationsausfälle auf jeden Fall sichergestellt werden. Bildlich ausgedrückt: Wenn bei uns in Schmölln die Straßen zu 20 Prozent ausgelastet sind, kann man als Autofahrer sicher sein, dass es immer freie Fahrt und grüne Welle gibt, egal wo man mit seinem Auto herkommt oder hinfährt.“
Um beim Profibus die Kommunikationszuverlässigkeit von vornherein sicherzustellen, überprüft man üblicherweise zuerst die physikalische Leitungsqualität. Das ist auch wichtig, hängen beim Profibus doch an einer Leitung oft bis zu 30 Teilnehmer. Im Profinet, wo auf 30 Teilnehmer 30 Leitungen kommen, ist dieses Vorgehen nicht nur aufwändig und teuer sondern birgt auch die Gefahr, dass durch das An- und Abstechen in die Installation aktiv eingegriffen wird und somit neue Fehlerquellen entstehen könenn. Richter hierzu: „Auch eine Diskussion mit Fachexperten brachte keine eindeutige Mehrheit zum 'Für oder Wieder' in Bezug eines Leitungstestes im Profinet.“
Aus den bisherigen Erfahrungen von Indu-Sol kann man bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Online-Test auf den Leitungstest als Abnahmekriterium im Profinet verzichten. Sind nämlich im Online-Test alle drei der genannten Qualitätskriterien erfüllt, kann man auch davon ausgehen, dass die Leitungsqualität stimmt. Umgekehrt werden anhand von Abweichungen der Qualitätsparameter Fehler in Leitungen ohnehin sichtbar. Durch den Einsatz eines Diagnosetools wie dem Profinet-Inspektor, der diese drei Kriterien für die Beurteilung der Kommunikationsqualität zu Grunde legt, kann auf aufwändige und teure offline Kabeltests im Sinne der Abnahme verzichtet werden.
Darüber hinaus hat der 'Online-Check' mit dem Profinet-Inspektor den Vorteil, dass alle Abnormalitäten mittels der webbasierten Visualisierung aufgezeichnet und mit Zeitstempel und realer Werteangabe übersichtlich dargestellt werden. Das erleichtert die Analyse, welches Problem wodurch verursacht wurde. So lassen sich Netze nicht nur von vornherein sinnvoll planen, sondern eine zuverlässige Kommunikation auch langfristig sicherstellen. Dazu bietet es sich an, den Inspektor auch während der gesamten Anlagenlaufzeit als 'Langzeit-EKG' der Anlage zu nutzen. Alle Änderungen, vor allem auch überraschende, die durch azyklisch auftretende Datenmengen verursacht werden, lassen sich so jederzeit sicher aufspüren und Kommunikationsprobleme vermeiden.